Haifa und See Genezareth

Der Rest des Tages verlief dann leider nicht mehr ganz so entspannt. Zuerst war noch alles cool, wir fahren auf der A2 der Küste entlang Richtung Norden. Dann sind wir sehr, sehr lange in Haifa herumgefahren um festzustellen dass es heute wohl schwierig wird eine adäquate Unterkunft zu finden die der ganzen Gemeinde zusagt. Rugard schlägt vor wieder ein Stück zurück zu fahren, er hat unterwegs einen kleineren Ort an der Küste gesehen, in dem wir uns was suchen wollen. Wir müssen uns langsam beeilen, denn es beginnt schon zu dämmern.
Dann passiert etwas saublödes:
Rugard, der als erster in der Kolonne fährt, macht gut Tempo damit wir vorwärts kommen. Werner, als zweiter, hat auf einmal das Gefühl er habe schon wieder einen Plattfuß und fährt rechts ran. Ich halte auch um ihm zu helfen. Rugard hat davon nichts mitbekommen, und fährt weiter. Dummerweise hat er auf einmal 2 andere, fremde Motorradfahrer hinter sich im Rückspiegel. Er denkt natürlich wir wären dass, und fährt, und fährt und fährt. Wär´ ja alles nicht so schlimm gewesen wenn er nicht einen Tag zuvor sein Handy verloren hätte. Wir beschließen ihn zu suchen und fahren über 60km die Küste wieder runter, erfolglos. Ziemlich ratlos überlegen Werner und ich was wir nun am besten tun. In unserer Vorbereitungsphase hatten wir mal verabredet, uns in einem solchen „worst case“, an der Tankstelle zu treffen wo wir zuletzt getankt haben. Wir hoffen dass sich Rugard an diese Absprache erinnert. Werner und ich fahren die gut 60km wieder zurück. Inzwischen ist es dunkel geworden. Unterwegs sehen wir noch ein Beispiel dafür, wie man ganze Siedlungen einfach von der israelischen Landkarte verschwinden lässt. In unserer Karte ist die Abfahrt zum nächsten Ort noch eingezeichnet. Eigentlich wollen wir dort abfahren und umkehren. Wir kommen dann auch an dem Schild vorbei „Ort X“ noch 5km. Als die Abfahrt kommt, ist der Ortsname auf dem Abfahrtsschild „ausradiert“ bzw. überpinselt. Auf die Autobahnabfahrt hat man einfach ein paar Lkw-Ladungen Erde gekippt so dass sie unpassierbar ist. Ein paar hundert Meter weiter wissen wir auch warum. Wir sehen das Dorf neben der Autobahn. Es ist eingemauert und bewacht wie eine Kaserne, eine kleine Enklave für sich. Die nächste Abfahrt kommt erst 25km später. Solche Orte findet man häufig in Israel.

Wir finden die Tankstelle (die mit den netten Mädels) wieder. Keine Spur von Rugard. Langsam macht sich ernsthafte Ratlosigkeit breit. Nach einiger Zeit klingelt endlich Werners Handy. Rugard hängt irgendwo etwa 30km weiter südlich an einer Tankstelle fest und hat Probleme mit der Kupplung. Da es mittlerweile schon recht spät ist beschließen wir dass Werner in Haifa schon mal ein Hotel klar macht und ich mich auf die Suche nach Rugard begebe. Also - die halbe Strecke wieder zurück. Ich finde Rugard an einer Tankstelle etwas abseits. Er hat ernsthafte Probleme mit der Kupplung seiner Teneré, sie trennt nicht mehr richtig. Er hatte schon alles nachgestellt, was nachzustellen geht. Gemeinsam fahren wir wieder zurück nach Haifa. Es ist mittlerweile Nacht geworden. In einem Hotel, im Ami-Betonbunkerstyle hatte Werner zwischenzeitlich schon mal ein Zimmer klargemacht, ging ja nicht anders. Hier wollten wir eigentlich auf keinen Fall nächtigen - jetzt ließ es sich halt nicht mehr vermeiden.

Der Laden ist, bei näherer Betrachtung, gar nicht so verkehrt. Hier ist ziemlich viel internationales Volk vertreten. Werner haut sich hin und Rugard und ich ziehen uns noch eine Pizza und ein paar Biere in der Lobby. Die rießige Halle wird auf konstant 18 Grad heruntergekühlt während es draußen immer noch knapp 30 Grad hat. Es ist so kalt dass ich mir einen dicken Pulli holen muss. „Enorme Energieverschwendung“.

Das koschere Frühstücksbüffet am nächsten Morgen ist der Hammer. Die Stimmung steigt wieder. Ich telefoniere noch mal mit der Agentur über die wir das Frachtschiff für die Rückreise gebucht haben. Die signalisieren, dass sich die Ankunft des Schiffes noch etwas verzögern wird. Es ist also noch Zeit für Unternehmungen. Rugard will die Teneré lieber schonen und bleibt im Hotel. Werner und ich wollen zum See Genezareth, in Palästina heißt er „Lake Tiberias“.
Etwas südlich von Haifa geht es erst mal in die Berge. Wir suchen lange nach der Passstraße in das Carmel-Gebirge. Dann stellen wir fest dass unsere Israelkarte definitiv nicht stimmt, und finden erst nach einigen Fehlversuchen die richtige Straße. Kaum 10 Kilometer Luftlinie von der Küste entfernt befindet man sich hier schon wieder auf 550m Höhe. Ein kurzes Stück grober Schotterweg bereitet mir, ohne Gepäck, noch mal besonders viel Vergnügen.

Oben auf dem Mount-Carmel befindet man sich in einem dichten Pinienwald. Ich sage zu Werner: „Das könnte jetzt genauso gut in Südfrankreich sein.“ Die Temperaturen sind hier im Wald sehr erträglich. Wir machen eine kleine Pause, Werner raucht eine Zigarre, und wir stellen noch einmal fest wie gut es uns doch eigentlich geht. Dann weiter, an Nazareth vorbei, Richtung Tiberias. Von der Höhe des Carmel-Gebirges, bis nach Tiberias, fällt das Gelände mehr oder weniger konstant bis auf  212m unter Null ab. Ähnliche Geschichte wie vor 2 Tagen am toten Meer.

In Tiberias herrscht schon wieder eine Gluthitze. Es ist eigentlich viel zu heiß zum Motorradfahren und außer uns beiden „Bekloppten“ tut das hier auch niemand. Aber weil wir schon mal hier sind, wollen wir uns natürlich so viel wie möglich ansehen und nehmen die Strapazen gerne in Kauf.

Wir fahren ein gutes Stück um den See Genezareth herum, bis nach Kapernaum. Da ist heute leider nicht mehr viel Ursprüngliches zu sehen. Es gibt noch ein paar Treppenstufen über die Jesus ins Wasser gegangen sein soll. Ansonsten handelt es sich um eine eingezäunte, papstgeweihte Pilgerstätte mit einer relativ neuen Kapelle. No swimming, no picknick, no smoking. Allerdings haben Ausgrabungen belegt, dass viele Geschichten wie z.B. die „Speisung der 5000“ oder die „Bergpredigt“ sich hier in der Gegend zugetragen haben. Petrus war hier zu Hause, von dem ursprünglichen Fischerdorf ist allerdings nichts mehr zu sehen.
Aber es ist interessant ein Gefühl für die Größenverhältnisse der Region zu bekommen, wo sich so viele biblische Geschichten abgespielt haben. In Johannes 6,16 steht: „Als es aber spät geworden war, gingen seine Jünger zum See hinab, bestiegen ein Boot und fuhren über den See, auf Kafarnaum zu.“ Ich denke mir: „Die Jungs waren schon hart drauf damals, der See ist groß, und dann mit einem Ruderboot Nachts darüber…“ Wenn man bedenkt dass der See früher noch viel größer war: „Respekt.“ Die Berge von Umm Qais, wo wir eine Woche zuvor noch übernachtet haben, liegen direkt gegenüber, auf der anderen Seeseite

Auf dem Rückweg verfransen wir uns in der Innenstadt von Tiberias und stehen relativ ratlos an einer Ampelkreuzung auf der Suche nach der Straße Richtung Haifa. Jemand ruft von hinten laut: „Äääiii, was macht ihr denn hier ?“ Es dauert lange bis ich die Situation realisiert habe, denn auf Deutsch hat uns schon lange kein Fremder mehr angesprochen. Ein großer weißer Geländewagen mit 3 Blauhelmsoldaten steht hinter uns. Er überholt uns und fährt bei nächster Gelegenheit rechts ran. Ein dünner Schweizer, ein riesengroßer Afrikaner und ein kleiner Nepalese steigen aus. Die 3 UN-Soldaten sind mindestens genau so „ungleich“ wie wir. Eine sehr lustige Unterhaltung entsteht. Wir haben alle viel Spaß und freuen uns besonders über diese Begegnung ausgerechnet an diesem Ort. Die Jungs laden uns noch für kommenden Freitag ein, da würden sie in dem UNO-Stützpunkt immer eine zünftige Feier veranstalten. Wir hätten zu gerne zugesagt, aber Freitag soll ja jetzt unser Frachtschiff kommen - „das wird leider nichts.“ Auf die Frage, wie denn der Dienst, hier in den Golanhöhen so wäre entgegnet der Schweizer: „Bezahlter Urlaub“. So ganz kann ich es ihm aber nicht abnehmen. Jedenfalls werden wir, durch einen beflaggten UN-Geländewagen, aus Tiberias hinaus eskortiert bis wir wieder auf der richtigen Piste sind. Tolle Begegnung .

Wieder zurück durch die Hitze. Offensichtlich sieht man uns die Qualen auch an. An einer Ampelkreuzung auf halber Strecke nach Haifa steigt der Fahrer des Wagens vor uns aus und bringt uns eine Flasche kaltes Wasser. Er ist selbst auch Biker, Angehöriger der israelischen Armee auf dem Weg nach Hause, und hat ein Herz für uns. Er fragt uns auch wieder warum wir denn bloß, bei dieser Hitze, in dieser Gegend, mit den Mopeds unterwegs sind, wir erzählen kurz unsere Geschichte und er ist begeistert. Werner und ich finden die Tour zum See Genezareth trotz aller Qualen einfach nur schön.
Am späten Nachmittag sind wir zurück im Hotel in Haifa. Wir gönnen uns erst einmal ein erfrischendes Bad im Meer, das hier wirklich sehr sauber ist. Danach abhängen in einer Strandbar und den Sundowner genießen. Genial.

Nachts sitze ich noch sehr lange alleine am Strand und kann es kaum glauben dass unser Trip langsam zu Ende geht.

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